Wenn Dunkelheit wärmt

Wenn Dunkelheit wärmt


Es gibt Begegnungen, die beginnen mit einem Blick – und verändern, was wir zu wissen glaubten.
An einem heißen Tag am Strand von Sharirrakur kreuzen sich die Wege von Vidal, einer Jägerin mit dunkler Haut und stolzer Haltung, und Hanna, nebst ihrem Kind, die zu viele Gründe hat, um Fremden zu misstrauen.
Zwischen Wellenrauschen, Schattenstab und leisen Gesprächen gerät ein festgefügtes Weltbild ins Wanken – und vielleicht auch ein Herz.


Ein herrlicher Tag auf Caliandra, der Welt der Sneef, und Vidal gönnte sich endlich mal eine Auszeit. Und was wäre besser geeignet als „The Beach“, der berühmteste Strandclub von ganz Sharirrakur? Genau – auch das Geld dafür zu haben. Trotzdem mischte sie sich unter das Volk der Reichen und Schönen. Immerhin hatte sie einen Schattenstab dabei, einen echten Luxusgegenstand.

Für einen Menschen mochte der Anblick verwirrend sein: Über den Strand verteilt tummelten sich nur Frauen in den verschiedensten Formen und Farben. Kein einziger „Mann“. Denn Sneefs hatten keine getrennten Geschlechter, keine getrennten Kulturen. Nur Sneef. Mal war man austragend, mal erzeugend, wie es gerade passte – aber immer Sneef.

„Abmarsch, Geonan, aber sofort!“

Vidal drehte leicht den Kopf. Sie lag elegant auf ihrem Handtuch, stützte sich auf ihr Kissen und musterte die beiden über den Rand ihrer Sonnenbrille hinweg. Als sie sah, wie die Fionon an ihrem Kind zog, veränderte sie ihre Position. Von elegant, auf angespannt. Säuerlich zog sie die Brauen zusammen. Nur weil die Kleine sich für Vidals Schattenstab interessierte?

Kindergeschrei, glockenhelles Quieken und gelegentliches Weinen vermischten sich mit dem Rauschen der Wellen. Die Sonne strahlte mit den bunt glitzernden Kresspalmen um die Wette. Kinder waren nichts für Vidal. Die hübschen Mütter schon eher.
Bis auf die Mutter von Geonan.

„Was hab ich dir über dunkle Sneefs gesagt?“

„Ich gehe nicht zu ihr, Fionin. Ich geh nur zum Fliegidings!“

– Ah – dachte Vidal. – Nicht ihre Fionon, also Mutter, sondern ihre Erzeugerin, ihre Fionin. – Die uralten Vorurteile ignorierte sie. Zu oft hatte sie sich mit ihrer dunklen Hautfarbe rechtfertigen, gegen geschlossene Türen anrennen müssen. Und wofür? Weil Sneefs mit geringer Leuchtkraft als minderwertig angesehen, wie Sklavinnen behandelt wurden. Bis zum Hafenaufstand in Delameh – als viele Schwestern starben… auf beiden Seiten.

Sie richtete den Blick wieder auf ihren Schattenstab.
Schattenstäbe hatten nichts mit Fliegen zu tun, aber Kinderaugen sahen nun mal mehr. Der Stab war etwa einen Meter lang, schwebte in der Luft, gehalten von einer Kette mit Gewicht. An seinem oberen Ende saßen mehrere palmartige Wedel, die man mit Flügeln verwechseln konnte. Sie spendeten Schatten und wedelten kühle, feuchte Luft nach unten. Ihrer hier hatte sogar einen Wasser- und Eisspender für ein kühles Glas.

Sie hätte ihn sich nie leisten können, wenn nicht eine sehr gute Freundin ihn ihr geschenkt hätte.

Gerade wollte Vidal den Blick abwenden, als Geonan sich losriss und auf den Schattenstab zustürmte. Die Kleine stolperte – und ehe Hanna, ihre Fionin, reagieren konnte, war Vidal schon bei ihr. Eine fließende Bewegung, kraftvoll und gleichzeitig so kontrolliert, dass kein Sand aufwirbelte. Noch bevor die Kleine auf den zitronengelben Sandboden aufprallen konnte, hatte Vidal sie aufgefangen und an ihre Brust gedrückt.

Hanna registrierte das unwillkürlich – und erschrak über sich selbst. Über die Wärme, die von Vidals Armen ausging, als sie Geonan auffing. Über die geschmeidige Selbstverständlichkeit, mit der diese Frau sich bewegte. Es war… zu viel. Zu nah. Unangenehm, weil es in ihr etwas anstieß, das sie nicht fühlen wollte.

Die Fionin kam außer Atem bei ihnen an, das Gesicht vor Sorge erhellt. Sie riss Geonan an sich.
„Ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht…“ Ihre Stimme brach ab, als sie Vidals Blick begegnete. Magentafarbene, dunkle Augen – warm und unerschütterlich. Für einen Moment wirkten sie gar nicht so „dunkel“, wie Hanna immer gedacht hatte.

„Sie hat sich nichts getan“, sagte Vidal ruhig. „Und der Schattenstab ist ungefährlich.“

„Vielleicht. Aber wir wollen nichts mit…“

„…mit dunklen Sneefs zu tun haben?“, beendete Vidal den Satz. Sie lächelte, nicht spöttisch, sondern fast traurig. „Es ist leicht, zu glauben, was man einem erzählt, wenn man kaum Zeit zum Atmen hat, stimmt’s?“ Vidal war es längst aufgefallen. Am Badeanzug der Fionin hingen ein paar lose Fäden herab, in ihrem Strandwagen war alles dabei, was die Reichen an den Strandbars kauften. Diese Sneef kämpfte hart für so einen Ausflug. Vielleicht sogar härter als Vidal.

Hanna schwieg. Ein Blick auf den Schattenstab lenkte sie ab. Geonan saß brav daneben und spielte mit den Wedeln.

„Man hört ja immer so viel Schlimmes“, murmelte Hanna. Sie wusste, sie sollte sich selbst ein Bild machen – aber wann? Zwischen Schichtende und Geonans Abendessen? Beim Abwasch, wenn ihr Rücken schmerzte? Oder wenn die Kleine schlief und sie selbst vor Erschöpfung fast umfiel? Die Schlagzeilen waren schnell und klar. Einfach.

„Und Dunkle sind Lügnerinnen und Betrügerinnen?“

„Ist das der Große mit Eisspender?“, fragte Hanna schließlich.

„Geschenkt bekommen“, sagte Vidal leise. „Von meiner Freundin Jova.“

„Den Rest – wie mein Strandtuch und meine Strandtasche – habe ich hart erarbeitet.“ Sie hob eine Augenbraue, und Hanna wurde rot.

„Vielleicht sollten Sie sich selbst ein Bild machen, bevor Sie uns verurteilen.“

Hanna reichte ihr nach kurzem Zögern die Hand. „Hanna Nuoit.“

„Vidal Nemtoja.“

In den folgenden Tagen trafen sie sich öfter – zuerst zufällig, dann absichtlich. Geonan durfte irgendwann sogar helfen, die Wedel zu polieren. Hanna merkte, dass Vidal nicht nur die „dunkle Sneef“ war, vor der man sie gewarnt hatte, sondern eine Frau mit Träumen, Sorgen – und Humor.

An einem Abend, als die Kresspalmen im letzten Licht schimmerten, fragte Vidal:
„Geonan schläft. Bleibst Du noch einen Moment?“

Hanna setzte sich neben sie in den Sand. Vidal saß locker, der Rücken gerade, die Knie leicht angewinkelt – eine Haltung, die ganz nebenbei die Muskeln ihrer Oberschenkel betonte. Früher hätte Hanna den Blick sofort abgewandt. Jetzt nicht mehr.

„Vielleicht bin ich zu schnell mit meinen Urteilen“, sagte Hanna.

„Gut. Dann bin ich vielleicht zu schnell mit meinen Fragen.“

„Welche denn?“

„Ob ihr mich morgen auf einen Spaziergang begleiten wollt?“

Am nächsten Tag gingen sie zusammen los. Hanna stellte Fragen, hörte zu. Vidal erzählte vom Jägerinnenleben – und Hanna stellte fest, dass diese Körperlichkeit, die sie anfangs überfordert hatte, Teil von allem war, was Vidal ausmachte. Stärke. Freiheit. Selbstverständnis.

Und diesmal empfand Hanna es nicht mehr als Bedrohung, sondern als Einladung.

Ein herrlicher Tag auf Caliandra, der Welt der Sneef, und Vidal gönnte sich endlich mal eine Auszeit. Und was wäre besser geeignet als „The Beach“, der berühmteste Strandclub von ganz Sharirrakur? Genau – auch das Geld dafür zu haben. Trotzdem mischte sie sich unter das Volk der Reichen und Schönen. Immerhin hatte sie einen Schattenstab dabei, einen echten Luxusgegenstand.

Für einen Menschen mochte der Anblick verwirrend sein: Über den Strand verteilt tummelten sich nur Frauen in den verschiedensten Formen und Farben. Kein einziger „Mann“. Denn Sneefs hatten keine getrennten Geschlechter, keine getrennten Kulturen. Nur Sneef. Mal war man austragend, mal erzeugend, wie es gerade passte – aber immer Sneef.

„Abmarsch, Geonan, aber sofort!“

Vidal drehte leicht den Kopf. Sie lag elegant auf ihrem Handtuch, stützte sich auf ihr Kissen und musterte die beiden über den Rand ihrer Sonnenbrille hinweg. Als sie sah, wie die Fionon an ihrem Kind zog, veränderte sie ihre Position. Von elegant, auf angespannt. Säuerlich zog sie die Brauen zusammen. Nur weil die Kleine sich für Vidals Schattenstab interessierte?

Kindergeschrei, glockenhelles Quieken und gelegentliches Weinen vermischten sich mit dem Rauschen der Wellen. Die Sonne strahlte mit den bunt glitzernden Kresspalmen um die Wette. Kinder waren nichts für Vidal. Die hübschen Mütter schon eher.
Bis auf die Mutter von Geonan.

„Was hab ich dir über dunkle Sneefs gesagt?“

„Ich gehe nicht zu ihr, Fionin. Ich geh nur zum Fliegidings!“

– Ah – dachte Vidal. – Nicht ihre Fionon, also Mutter, sondern ihre Erzeugerin, ihre Fionin. – Die uralten Vorurteile ignorierte sie. Zu oft hatte sie sich mit ihrer dunklen Hautfarbe rechtfertigen, gegen geschlossene Türen anrennen müssen. Und wofür? Weil Sneefs mit geringer Leuchtkraft als minderwertig angesehen, wie Sklavinnen behandelt wurden. Bis zum Hafenaufstand in Delameh – als viele Schwestern starben… auf beiden Seiten.

Sie richtete den Blick wieder auf ihren Schattenstab.
Schattenstäbe hatten nichts mit Fliegen zu tun, aber Kinderaugen sahen nun mal mehr. Der Stab war etwa einen Meter lang, schwebte in der Luft, gehalten von einer Kette mit Gewicht. An seinem oberen Ende saßen mehrere palmartige Wedel, die man mit Flügeln verwechseln konnte. Sie spendeten Schatten und wedelten kühle, feuchte Luft nach unten. Ihrer hier hatte sogar einen Wasser- und Eisspender für ein kühles Glas.

Sie hätte ihn sich nie leisten können, wenn nicht eine sehr gute Freundin ihn ihr geschenkt hätte.

Gerade wollte Vidal den Blick abwenden, als Geonan sich losriss und auf den Schattenstab zustürmte. Die Kleine stolperte – und ehe Hanna, ihre Fionin, reagieren konnte, war Vidal schon bei ihr. Eine fließende Bewegung, kraftvoll und gleichzeitig so kontrolliert, dass kein Sand aufwirbelte. Noch bevor die Kleine auf den zitronengelben Sandboden aufprallen konnte, hatte Vidal sie aufgefangen und an ihre Brust gedrückt.

Hanna registrierte das unwillkürlich – und erschrak über sich selbst. Über die Wärme, die von Vidals Armen ausging, als sie Geonan auffing. Über die geschmeidige Selbstverständlichkeit, mit der diese Frau sich bewegte. Es war… zu viel. Zu nah. Unangenehm, weil es in ihr etwas anstieß, das sie nicht fühlen wollte.

Die Fionin kam außer Atem bei ihnen an, das Gesicht vor Sorge erhellt. Sie riss Geonan an sich.
„Ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht…“ Ihre Stimme brach ab, als sie Vidals Blick begegnete. Magentafarbene, dunkle Augen – warm und unerschütterlich. Für einen Moment wirkten sie gar nicht so „dunkel“, wie Hanna immer gedacht hatte.

„Sie hat sich nichts getan“, sagte Vidal ruhig. „Und der Schattenstab ist ungefährlich.“

„Vielleicht. Aber wir wollen nichts mit…“

„…mit dunklen Sneefs zu tun haben?“, beendete Vidal den Satz. Sie lächelte, nicht spöttisch, sondern fast traurig. „Es ist leicht, zu glauben, was man einem erzählt, wenn man kaum Zeit zum Atmen hat, stimmt’s?“ Vidal war es längst aufgefallen. Am Badeanzug der Fionin hingen ein paar lose Fäden herab, in ihrem Strandwagen war alles dabei, was die Reichen an den Strandbars kauften. Diese Sneef kämpfte hart für so einen Ausflug. Vielleicht sogar härter als Vidal.

Hanna schwieg. Ein Blick auf den Schattenstab lenkte sie ab. Geonan saß brav daneben und spielte mit den Wedeln.

„Man hört ja immer so viel Schlimmes“, murmelte Hanna. Sie wusste, sie sollte sich selbst ein Bild machen – aber wann? Zwischen Schichtende und Geonans Abendessen? Beim Abwasch, wenn ihr Rücken schmerzte? Oder wenn die Kleine schlief und sie selbst vor Erschöpfung fast umfiel? Die Schlagzeilen waren schnell und klar. Einfach.

„Und Dunkle sind Lügnerinnen und Betrügerinnen?“

„Ist das der Große mit Eisspender?“, fragte Hanna schließlich.

„Geschenkt bekommen“, sagte Vidal leise. „Von meiner Freundin Jova.“

„Den Rest – wie mein Strandtuch und meine Strandtasche – habe ich hart erarbeitet.“ Sie hob eine Augenbraue, und Hanna wurde rot.

„Vielleicht sollten Sie sich selbst ein Bild machen, bevor Sie uns verurteilen.“

Hanna reichte ihr nach kurzem Zögern die Hand. „Hanna Nuoit.“

„Vidal Nemtoja.“

In den folgenden Tagen trafen sie sich öfter – zuerst zufällig, dann absichtlich. Geonan durfte irgendwann sogar helfen, die Wedel zu polieren. Hanna merkte, dass Vidal nicht nur die „dunkle Sneef“ war, vor der man sie gewarnt hatte, sondern eine Frau mit Träumen, Sorgen – und Humor.

An einem Abend, als die Kresspalmen im letzten Licht schimmerten, fragte Vidal:
„Geonan schläft. Bleibst Du noch einen Moment?“

Hanna setzte sich neben sie in den Sand. Vidal saß locker, der Rücken gerade, die Knie leicht angewinkelt – eine Haltung, die ganz nebenbei die Muskeln ihrer Oberschenkel betonte. Früher hätte Hanna den Blick sofort abgewandt. Jetzt nicht mehr.

„Vielleicht bin ich zu schnell mit meinen Urteilen“, sagte Hanna.

„Gut. Dann bin ich vielleicht zu schnell mit meinen Fragen.“

„Welche denn?“

„Ob ihr mich morgen auf einen Spaziergang begleiten wollt?“

Am nächsten Tag gingen sie zusammen los. Hanna stellte Fragen, hörte zu. Vidal erzählte vom Jägerinnenleben – und Hanna stellte fest, dass diese Körperlichkeit, die sie anfangs überfordert hatte, Teil von allem war, was Vidal ausmachte. Stärke. Freiheit. Selbstverständnis.

Und diesmal empfand Hanna es nicht mehr als Bedrohung, sondern als Einladung.


Die Schattenstab rauscht leise, als Hanna ihre Hand in Vidals legte.
Kein Versprechen, kein Plan – nur der Augenblick und die Ahnung, dass dies nicht ihr letzter gewesen war.
Denn was an diesem Strand begann, würde weder für Hanna noch für Vidal so einfach enden. Und wenn es euch gefällt, werden weitere Geschichten folgen. Von Hanna, Geonan, Vidal und all den anderen…


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